SIGMA 100-400MM F5-6.3 DG DN OS | C

... © Benedikt Haushofer 2020

SIGMA 100-400MM F5-6.3 DG DN OS | C

... © Benedikt Haushofer 2020
Testbericht

Ich wollte schon immer mal einen Testbericht anfangen mit den ach so bekannten Worten aus denen ein Großteil der Gespräche am Sims von Fotostammtischen beginnt. Alright: „Als ich klein war…“ …war ich von jeher davon fasziniert was mein Opa mit all seinen Gewehren aus seinem Waffenschrank tat. Yes, war ich in der Tat. Das spannendste daran waren aber nicht die Waffen, sondern eher die unglaublichen Möglichkeiten der Beobachtungen von Wildtieren. Die Zieloptiken, die dafür notwendig waren, waren oftmals länger als die Gewehre selbst.

Was mich nahtlos zu meinen Gedanken zum Sigma 100-400 DG DN OS bringt:

Erste Gedanken

Starten wir mal mit einem Ersteindruck. Wie so oft, wenn einem eine neue Linse erwartet, ist man erstmal überrascht von den Eigenheiten eines Objektivs. Man versucht so schnell wie möglich alles darüber herauszufinden. Die Haptik, das Handling, klarerweise das Bokeh und nicht zu vergessen, wie setzt man die Optik am besten ein. Beim 100-400 muss ich gestehen, waren all diese Fragen bei der Ankunft einfach nicht da, weil ich schlicht und ergreifend von der Größe der Linse überwältigt war. 

Als Fotograf, der seinen Fokus auf Menschen legt und das mit einem „Megapixel-Schiff“, wie der A7R IV, ist die Linse im ersten Moment tatsächlich ein wenig, sagen wir mal, unüblich. Abgesehen von der schieren Größe des Objektivs könnte man vermeintlich behaupten, dass auch die nicht durchgängige Lichtstärke von f5,0-6,0 ein Showstopper für den klassischen portraitschaffenden Fotografen ist, richtig? Was haben wir noch an potentiellen Mankos? Verarbeitung? Geräuschentwicklung? Handling? Stabilisationsverhalten bei so einer langen Brennweite? Ja, es wäre hier leicht in eine super technische Auseinandersetzung mit dem knapp 35cm langen Glas abzudriften und jeden einzelnen noch so kleinen Parameter und Mangel aufs Korn zu nehmen. Fürchte aber nicht lieber Leser, dieser Erfahrungsbericht soll zusätzlich einen subjektiven, alternativen Blick in ein offenbar „unübliches“ Objektiv für einen Fotografen wie mich richten.

Outdoor

Da mich in erster Instanz die Kompression des Raums und die Bokehdarstellung des 100-400ers interessiert hat, wählte ich fürs erste Shooting nen sonnigen Tag mit unruhigen Hintergründen. Abgesehen von der Distanz zwischen Model und Fotograf war ich sehr überrascht über die Qualität des Bokehs und der Verengung des Bildwinkels. Wie gesagt, es war sehr ungewohnt für mich in solchen Brennweiten zu arbeiten und dort auch noch mit den entsprechenden Blendenöffnungen, die das Objektiv zulässt. All meine Bedenken wurden schnell aufgehoben, da durch genug Sonnenlicht und den aktuellen Sensoren eine vollständige Durchzeichnung und korrekte Belichtung ohne weiteres möglich war. Es dauerte ein wenig bis ich meine gewohnte Kommunikation abgelegt hatte und das Model und ich eingeschwungen waren. Immerhin waren es doch gute 5-10m Abstand die zwischen uns herrschten. Um die Ästhetik, sprich die visuellen Eigenheiten des Objektivs ein wenig besser zu beschreiben, verweise ich hier auf Beispiele des Kollegen, wo diese erkenntlich sind. Leider wurde das Material des ersten Shootings vom Klienten nicht freigegeben zur Veröffentlichung.

Studio

Der Einsatz im Studio war ein weiteres Experiment. Studio+People und das 100-400er funktioniert nur in der Kombi mit einem wirklich tiefen Studio. Die lange Brennweite ist natürlich sehr verlockend, um einen verhältnismäßig großen Abbildungsmaßstab zu erreichen vom Haupt-Aufnahmesujet. Allerdings führt das wie erwähnt bei zu kleinen Räumen zu einer großen Sammlung von Problemen. Unter 10m Tiefe für ein Studio, seh ich hier wenig Einsatzmöglichkeiten…außer… nun ja… im Produktbereich. Auch hier könnte sich die Linse als kleiner Undercover Underdog entpuppen. Bevor nun alle auf die Barrikaden steigen und sagen, welch Schelm es ist von mir so eine Behauptung aufzustellen, erlaubt mir mich kurz zu erklären: Es ist nicht selten der Fall, dass Produktaufnahmen in Studios zu relativ komplexen Sets führen. Die Aufbauten, die daraus resultieren, gleichen oftmals modernen Kunstwerken und haben eins gemein, nämlich, dass die Kamera oftmals im Weg steht. Dann hat man wieder das Problem, dass es zu Flaring kommt, weil eine Lichtquelle nicht gut abgedeckt ist usw usf. Mit langen Brennweiten hat man den großen Vorteil, dass die Kamera nicht so nah an den Sujets hängt. Natürlich muss die Brennweite die Bildidee auch tragen können, sollte dies aber nahtlos ins Konzept übergreifen, sehe ich auch hier eine gute Einsatzmöglichkeit fürs 100-400er. Wer hätte das gedacht.

Einsatzgebiet

Wenn man sich Glas in diesem Brennweiten-segment gönnt, ist die erste Frage wohl: Wo um Himmels Willen setzt man so etwas ein? Als People-Fotograf hat mir diese Frage anfänglich einiges an Kopfzerbrechen bereitet, v.a. da ich sehr skeptisch gegenüber der doch recht geringen Lichtstärke des Objektivs war.F5,0 das liefert sicher heftige Probleme mit der Komposition des Hintergrunds und bei 400mm grade noch so f6,0. Wie soll ich so nur arbeiten?! Wie naiv ich damals noch war… Das gute an solchen Tests mit neuen „ungewohnten“ Brennweiten für einen selbst ist, dass man gezwungen ist zu experimentieren und auf die Eigenheiten der Linse einzugehen. Gesagt getan, abseits vom obligatorischen Computer-Tisch fotografieren zuhause nach dem Auspacken, gleich mal ein Outdoor-Shooting organisiert.

Mankos

Es gibt tatsächlich nicht soviel Negatives, was mir aufgefallen wäre. Ich würde es eher als nitty-gritty Kleinkram beschreiben, was ich bemängeln würde. Also nörgeln auf etwas höheren Niveau. Nichts desto trotz, wert diskutiert und aufgebracht zu werden. Erstens die Länge der Linse. Ich persönlich nutze einen Shoulder-Strap um die Kamera mit mir zu tragen, was dazu führt, dass die Kamera sich meistens auf Hüfth.he bei mir befindet. Wenn es draußen mal etwas kälter wurde und ich viel am Marschieren war, dann macht sich der Zoom des Objektivs gern mal selbständig und wenn man dann nicht wirklich darauf achtet, dann läuft man gern mal mit nem Riesen-Ausleger an seiner Hüfte herum, was den Level an Risiko zur Beschädigung des Objektivs um einiges nach oben treibt. Hey Leben am Limit! Anyway, lässt sich einfach lösen durch den Lock-Button am Objektiv, man darf eben nicht darauf vergessen. Der Stabilisator des Objektivs funktioniert gut, ist zwar hörbar aus meiner Sicht aber nicht schlimm. Ohne Stabi in höheren Brennweiten zu arbeiten ist zwar grundsätzlich aus der Hand möglich. Und mit möglich meine ich, es ist möglich ein scharfes Bild zu schießen, allerdings ist das Framing ein Ding der Unmöglichkeit. (hey wir haben das Experiment alle schon mal gemacht, damit wir mitreden können ;))

Fazit

Das 100-400er ist definitiv kein „Portraitklassiker“, den ich mir schnell kaufen würde, v.a. im ersten Augenschein. Ich muss gestehen bei längerer Testung habe ich allerdings sehr viele positive Aspekte herausgefunden, mit denen ich es spannend finde zu experimentieren. V.a. die Abmessungen und die „Limitierungen“, die die Optik mit sich bringt, forcieren einem selbst neue Wege zu gehen. Die daraus folgenden Experimente führen zu interessanten Ergebnissen und zu einer aus meiner Sicht eigenen Ästhetik. Für die Portraitfotografie bringt es natürlich die große Herausforderung der Kommunikation mit dem Model durch den hohen Abstand zwischen Model/Fotograf mit sich. Eine Hürde, die aber durchaus bewältig bar ist. Die Linse ist perfekt geeignet, wenn ausreichend Licht vorhanden ist und eine Durchzeichnung des Hintergrunds nicht gewährleistet sein muss. Die Raumkompression und der Bokehverlauf ist aus meiner Sicht sehr homogen und liefert ein angenehmes Bild zur Betrachtung. Wenn es zu Wildlife Fotografie (oder sämtliches Genres die sich Outdoor befinden, wo einiges an Abstand zum Sujet notwendig ist) kommt, dann meine ich, dass die Linse ein „NoBrainer“ ist vom Mehrwert, den sie liefert. Summa Summarum hatte ich eine Menge Freude mit dem 100-400er, nachdem ich mich mal ein wenig damit beschäftigt hatte.